• (...)" 2


    Pereira erklärt, an jenem Nachmittag habe das Wetter umgeschlagen. Plötzlich legte sich die Atlantikbrise, vom Ozean her zog eine dicke Nebelwand auf, und die Stadt war wie in ein klitschnasses, heißes Tuch eingewickelt. Bevor er sein Büro verließ, warf Pereira einen Blick auf das Thermometer, das er auf eigene Kosten gekauft und hinter der Tür aufgehängt hatte. Es zeigte achtunddreißig Grad. Pereira machte den Ventilator aus, begegnete auf der Treppe der Portiersfrau, die zu ihm sagte: Auf Wiedersehen, Doktor Pereira, atmete noch einmal den Geruch von Gebratenem ein, der im Hauseingang hing, und ging schließlich ins Freie hinaus. Vor der Haustür lag der Markt des Viertels, und die Guarda Nacional Republicana hatte zwei Polizeiwagen postiert. Pereira wußte, daß auf dem Markt Aufregung herrschte, weil die Polizei am Tag davor im Alentejo einen Fuhrmann erschossen hatte, der den Markt belieferte und Sozialist war. Deshalb war die Guardia Nacional Republicana vor den Toren des Marktes aufgezogen. Aber die Lisboa oder, besser gesagt, der Stellvertreter des Herausgebers, hatte nicht den Mut besessen, davon zu berichten, denn der Herausgeber war auf Urlaub, er hielt sich in Bucaco auf, wo er die kühle Luft und die Thermen genoß, und wer hatte schon den Mut, zu berichten, daß ein sozialistischer Fuhrmann im Alentejo auf seinem Karren massakriert worden war und alle seine Melonen mit Blut bespritzt hatte? Niemand, denn das Land schwieg, es konnte gar nichts anderes als schweigen, und derweil starben die Leute, und die Polizei spielte sich als Machthaber auf. Pereira begann zu schwitzen, weil er schon wieder an den Tod dachte. Und er dachte: Diese Stadt stinkt nach Tod, ganz Europa stinkt nach Tod." (...)

    aus: Antonio Tabucchi: "Erklärt Pereira", Seite13/14.

    ALLE HIN!

  • (...) " Er begab sich ins Café Orquídea, das nur einen Katzensprung entfernt war, neben der jüdischen Fleischerei, und setzte sich an ein Tischchen, aber ins Innere des Lokals, wo es wenigstens einen Ventilator gab, denn draußen hielt man es vor Hitze nicht aus. Er bestellte eine Limonade, ging zur Toilette, wusch sich Hände und Gesicht, ließ sich eine Zigarre bringen, bestellte die Abendzeitung, und Manuel, der Kellner, brachte ihm ausgerechnet die Lisboa. An diesem Tag hatte er die Korrekturfahnen nicht gelesen, deshalb blätterte er darin wie in einer fremden Zeitung. Auf der ersten Seite stand: "In New York stach heute die luxuriöseste Yacht der Welt in See." Pereira betrachtete lange die Überschrift, dann betrachtete er die Fotografie. Auf dem Bild war eine Gruppe von Menschen zu sehen, mit Strohhut und im Hemd, die Champagnerflaschen entkorkten. Pereira erklärt, daß er zu schwitzen begann, und er dachte aufs neue an die Auferstehung des Fleisches. Wie, dachte er, wenn ich auferstehe, befinde ich mich in Gesellschaft dieser Leute mit Strohhut? Er stellte sich tatsächlich vor, er befinde sich mit den Leuten von der Yacht in irgendeinem nicht näher bestimmten Hafen der Ewigkeit. Und die Ewigkeit erschien ihm als unerträglicher Ort, auf dem ein dunstiger Hitzeschleier lastete, mit Leuten, die Englisch sprachen, sich zuprosteten und dabei ausriefen: Oh, oh! Pereira ließ sich noch eine Limonade bringen. Er überlegte sich, ob er nach Hause gehen sollte, um ein kühles Bad zu nehmen, oder ob er lieber seinen Freund, den Pfarrer, besuchen sollte, Don António von der Merces-Kirche, zu dem er vor einigen Jahren, als seine Frau starb, beichten gegangen war und den er einmal im Monat besuchte. Er dachte, es sei besser, Don António zu besuchen, vielleicht würde es ihm guttun.

    Und das tat er. Pereira erklärt, diesmal habe er vergessen zu bezahlen. Er erhob sich gleichmütig, besser gesagt, ohne daran zu denken, und ging einfach weg, und auf dem Tisch ließ er seine Zeitung und seinen Hut liegen, vielleicht weil er bei der Hitze keine Lust hatte, ihn aufzusetzen, oder weil es seine Art war, seine Sachen liegenzulassen.

    Pater António war abgespannt, erklärt Pereira. Er hatte Augenringe, die ihm bis zu den Wangen reichten, und einen erschöpften Gesichtsausdruck, wie jemand, der nicht geschlafen hat. Pereira fragte ihn, was mit ihm los sei, und Pater António sagte zu ihm: Also so was, hast du es denn nicht erfahren, sie haben einen aus dem Alentejo auf seinem Fuhrwerk umgebracht, es gibt Streiks, hier in der Stadt und anderswo, in welcher Welt lebst du denn, du, der du in einer Zeitung arbeitest, hör mal, Pereira, informier dich doch ein wenig." (...)

    aus: Antonio Tabucchi: "Erklärt Pereira", Seite 14-16.

    ALLE HIN!

  • (...) "Pereira erklärt, dieses kurze Gespräch und die Art und Weise, in der er verabschiedet worden war, habe ihn verwirrt. Er fragte sich: In was für einer Welt lebe ich? Und es kam ihm der groteske Gedanke, daß er vielleicht gar nicht lebte, sondern schon so gut wie tot war. Oder besser gesagt: Er tat nichts anderes als an den Tod denken, an die Auferstehung des Fleisches, an die er nicht glaubte, und ähnliche Dummheiten, sein Leben war nur ein Überleben, die Illusion eines Lebens. Und er fühlte sich erschöpft, erklärt er. Es gelang ihm, sich bis zur nächsten Straßenbahnhaltestelle zu schleppen, und er nahm eine Straßenbahn bis zum Terreiro do Paco. Und dabei betrachtete er durch das Fenster, wie sein Lissabon langsam an ihm vorbeizog, er betrachtete die Avenida da Liberdade mit ihren schönen Gebäuden und dann die im englischen Stil gehaltene Praca da Rossio; und am Terreiro do Paco stieg er um in die Straßenbahn, die bis zum Kastell hinauffuhr. Auf der Höhe der Kathedrale stieg er aus, denn er wohnte hier in der Nähe, in der Rua da Saudade. Er stieg mühsam die steile Straße hinauf, die zu seinem Haus führte. Er läutete bei der Portiersfrau, weil er keine Lust hatte, die Haustürschlüssel zu suchen, und die Portiersfrau, die auch seine Zugehfrau war, öffnete ihm. Doktor Pereira, sagte die Portiersfrau, ich habe Ihnen zum Abendessen eine Karbonade gebraten. Pereira dankte ihr und stieg langsam die Treppe hinauf, holte den Wohnungsschlüssel unter der Fußmatte hervor, wo er ihn immer aufbewahrte, und ging hinein. Im Vorzimmer blieb er vor dem Bücherregal stehen, wo sich das Bild seiner Frau befand. Er hatte das Foto selber geknipst, neunzehnhundertsiebenundzwanzig, während einer Reise nach Madrid, und im Hintergrund sah man die wuchtigen Umrisse des Escorial. Entschuldige, daß ich ein wenig spät komme, sagte Pereira." (...)

    aus: Antonio Tabucchi: "Erklärt Pereira", Seite16/17.

    ALLE HIN!

  • Pereira hätte zumindest die Zeit dazu. Ich hoffe, er denkt während seiner Sperre über die Aktion nach und unterlässt solche Aktionen zukünftig.

  • (...) "Pereira erklärt, daß er seit einiger Zeit die Gewohnheit angenommen habe, mit dem Bild seiner Frau zu sprechen. Er erzählte ihr, was er während des Tages gemacht hatte, vertraute ihr seine Gedanken an, bat um Ratschläge. Ich weiß nicht, in was für einer Welt ich lebe, sagte Pereira zum Foto, auch Pater António hat es mir gesagt, das Problem ist, daß ich an nichts anderes als den Tod denke, mir ist, als ob die ganze Welt tot wäre oder drauf und dran sei, zu sterben. Und dann dachte Pereira an das Kind, das sie nicht bekommen hatten. Er hätte zwar eines gewollt, aber das konnte er von dieser zarten und kränkelnden Frau nicht verlangen, die nächtelang wach lag und lange Zeiten im Sanatorium verbrachte. Und es tat ihm leid. Denn wenn er jetzt einen Sohn gehabt hätte, einen erwachsenen Sohn, mit dem er hätte am Tisch sitzen und sich unterhalten können, dann hätte er nicht mit diesem Bild sprechen müssen, das auf einer lange zurückliegenden Reise entstanden war, an die er sich kaum mehr erinnerte. Und er sagte: Nun, was soll´s. So verabschiedete er sich immer vom Bild seiner Frau. Dann ging er in die Küche, setzte sich an den Tisch und nahm den Deckel von der Pfanne mit der gebratenen Karbonade. Die Karbonade war kalt, aber er hatte keine Lust, sie aufzuwärmen. Er aß sie immer so, wie sie ihm die Portiersfrau hinterließ: kalt. Er aß rasch, ging ins Bad, wusch sich die Achseln, zog ein frisches Hemd an, band sich eine schwarze Krawatte um und legte ein wenig von dem spanischen Parfüm auf, das sich noch immer in dem Flakon befand, den er neunzehnhundertsiebenundzwanzig in Madrid gekauft hatte. Dann zog er ein graues Jackett an und verließ das Haus, um zur Praca da Alegria zu gehen, denn inzwischen war es neun Uhr abends, erklärt Pereira." (...)

    aus: Antonio Tabucchi: "Erklärt Pereira", Seite 17/18.

    ALLE HIN!

  • Ist das immer dergleiche Text? Antworte mir vorsichtshalber gleich selber:

    Dann les`es halt! :slightly_smiling_face:

    Jedenfalls beginnt es immer mit "Pereira erklärt"! Weiter hab ich aber bisher auch noch nicht gelesen.

    Ob "Pereira erklärt" die neue Form von "mei gumbl sacht" ist?:nix:

  • (...) "Pereira erklärt, daß er seit einiger Zeit die Gewohnheit angenommen habe, mit dem Bild seiner Frau zu sprechen. Er erzählte ihr, was er während des Tages gemacht hatte, vertraute ihr seine Gedanken an, bat um Ratschläge. Ich weiß nicht, in was für einer Welt ich lebe, sagte Pereira zum Foto, auch Pater António hat es mir gesagt, das Problem ist, daß ich an nichts anderes als den Tod denke, mir ist, als ob die ganze Welt tot wäre oder drauf und dran sei, zu sterben. Und dann dachte Pereira an das Kind, das sie nicht bekommen hatten. Er hätte zwar eines gewollt, aber das konnte er von dieser zarten und kränkelnden Frau nicht verlangen, die nächtelang wach lag und lange Zeiten im Sanatorium verbrachte. Und es tat ihm leid. Denn wenn er jetzt einen Sohn gehabt hätte, einen erwachsenen Sohn, mit dem er hätte am Tisch sitzen und sich unterhalten können, dann hätte er nicht mit diesem Bild sprechen müssen, das auf einer lange zurückliegenden Reise entstanden war, an die er sich kaum mehr erinnerte. Und er sagte: Nun, was soll´s. So verabschiedete er sich immer vom Bild seiner Frau. Dann ging er in die Küche, setzte sich an den Tisch und nahm den Deckel von der Pfanne mit der gebratenen Karbonade. Die Karbonade war kalt, aber er hatte keine Lust, sie aufzuwärmen. Er aß sie immer so, wie sie ihm die Portiersfrau hinterließ: kalt. Er aß rasch, ging ins Bad, wusch sich die Achseln, zog ein frisches Hemd an, band sich eine schwarze Krawatte um und legte ein wenig von dem spanischen Parfüm auf, das sich noch immer in dem Flakon befand, den er neunzehnhundertsiebenundzwanzig in Madrid gekauft hatte. Dann zog er ein graues Jackett an und verließ das Haus, um zur Praca da Alegria zu gehen, denn inzwischen war es neun Uhr abends, erklärt Pereira." (...)

    aus: Antonio Tabucchi: "Erklärt Pereira", Seite 17/18.

    Der Gag mit dem Pereira-Buch war nett, aber es reicht jetzt auch. Also zitier es bitte nicht weiter. Die Leseratten, die sich dafür interessieren, haben ja jetzt einen ersten Eindruck davon gewonnen und können es sich kaufen/leihen.

    Zumal es rechtlich vermutlich nicht in Ordnung ist ein ganzes Buch online zu zitieren.

    Wenn Du ansonsten konstruktive Beiträge zu Pereira beisteuern willst kannst Du das natürlich gerne machen.

  • darf er eigentlich wieder für uns spielen oder ist er noch gesperrt?!

    Das beste hoffen, auf das schlimmste vorbereitet sein.

    Unabhängig. Überparteilich. Königlich.

    - Weltkulturerbe König -

  • Er soll bloß seine Pfoten aus dem Gesicht, der Magengrube und Gemächte seiner Gegenspieler lassen!

    Und wenn ihn einer ärgert, soll er ihn mit Ball über den Haufen räumen.

  • hab ihn wieder lieb! Richtig schöne geste auch beim jubeln!

    Der junge kööönnte noch zum entscheidenden faktor werden!

    Esther Sedlaczek for Pressesprecherin!

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