Mir sprechen viele Beiträge aus dem Herzen. Ich bin auch "unzufrieden", jedoch ging diese Entwicklung schon vor Meyer an und wurde durch die Erfolge nur etwas überdeckt. Was ist nun schlecht, was war früher (bin seit 90/91 dabei) besser?
1) Kosten: Obwohl der Club im Vergleich zu anderen Vereinen noch günstig ist, hat das Preisniveau der Eintrittskarten allgemein ein Niveau erreicht, bei dem man anfängt zu überlegen, ob die Gegenleistung (sportlich, Atmosphäre, "Erlebnis") stimmt oder nicht. Man geht eben nicht mehr wie früher "einfach mal so" für 10 Mark ins Stadion, sondern überlegt sich gut, was man mit den 20 Euro sonst noch alles anfangen kann als im November einen Grottenkick anzuschauen.
2) Atmosphäre: Die Dauerbeschallung mit Werbung und die Veränderungen der Fankultur (Megaphon usw.) haben die Stimmung abgewürgt, die sich früher von selbst aus den Blöcken entwickelt hat. Die Zuschauer haben ganz genau gespürt, wenn die Mannschaft Anfeuerung gebraucht und diese auch verdient hat. Der 7er fing an, 5, 9 und 11er stimmten ein und kurz darauf feuerte das ganze Stadion an, oft auch inklusive Gegengerade und sogar Haupttribüne. Dies konnte so weit gehen wie z. B. am vorletzten Spieltag der Saison 2001/02 als das ganze Stadion über 90 Minuten hinweg den Club zum Sieg gegen Leverkusen gebrüllt hat.
Auch das "Drumherum" im Stadion war besser. Man konnte sich im ganzen Stadion freizügig bewegen und jeden beliebigen Eingang nutzen. Auch wenn man nur Plätze in der Südkurve hatte, konnte man mit Freunden aus der Nordkurve gemeinsam ins Stadion gehen und sich in der Halbzeit auf ein Bier treffen. A propos Bier; früher konnte einer für alle Bier holen gehen, weil es die unsinnige "nur zwei Bier pro Verkaufsvorgang" Regelung nicht gab.
3) Identifikation mit der Mannschaft: Viele Spieler früher waren Kerle mit einem individuellen Charakter, bzw. man nahm dies glaubhaft an. Nicht nur große Spieler wie Köpke oder Ciric sondern auch strittige Figuren wie Oechler und Knäbel und selbst bemühte Versager gehörten einfach unverwechselbar zum Club. Nur totale Versager und aalglatte Legionäre wie Rink gehörten schon immer nicht dazu. Die Clubmannschaft heute ist, vielleicht liegt dies aber auch an meinem persönlichem Empfingen, das mit Mitte 30 anders ist als mit 16, irgendwie nicht greifbar, die Charaktere sind undefinierbar austauschbar geworden. Einer der letzten Spieler, mit denen ich mich so richtig identifizieren konnte, war Mintal. Leider gehören Spieler ohne Ecken, Kanten und Charakter in der Bundesliga und der Nationalmannschaft generell zum Wunschbild.
4) Sportliche Leistung: Bei höheren Eintrittspreisen und geringerer Identifikation und Stimmung steigt quasi automatisch der Anspruch an die sportliche Leistung. Das Spiel ist eben nicht mehr in dem Maße wie früher der äußere Anlaß, um sich mit Freunden zu treffen, Bier zu trinken und im Block zu feiern. Selbst wenn Fengler und Friedmann ein grausiges 0:0 auf den Platz zauberten, konnte man im Stadion genug Schönes erleben. Man ging somit nie oder nur sehr selten mit dem Gefühl eines "vergeudeten" Nachmittages aus dem Stadion.
5) Ewige Verdammnis: In 20 Jahren beim Club habe ich nur unter Meyer, in der Saison 91/92 und ansatzweise unter Magath und Augenthaler guten Fußball erlebt. Der Rest, also etwa 80-90 %, bestanden aus Grottenkicks, Flanken hinter das Tor, Auswärtsspielen, die sicher verlorengehen, sobald der Club ein Gegentor fängt und dem ewigen Dasein als Fahrstuhlmannschaft. Der Mensch erträgt lange vieles, doch irgendwann kommt für jeden der Punkt, an dem er sich abwendet oder resigniert. Ich werde mich nie vom Club abwenden, aber oft geht es mir wie in einer Ehe, in der man eben bis zum Tod zusammenleben muß, weil man vor 20 Jahren euphorisch "ja" gesagt hat. Die Zeit unter Meyer war wie ein Erweckungserlebnis, nicht so sehr wegen der sehr schönen Erfolge, sondern weil es spielerisch aufwärts ging und man im ganzen Verein eine positive Entwicklungsrichtung erkennen konnte. Hierzu zähle ich ausdrücklich auch die, aus der Sicht der damaligen Zeit, seriöse Konsolidierung, Modernisierung und Professionalisierung unter Bader. Der Untergang 2008 wirkt noch immer wie ein Schock. Vorher hatte man die Hoffnung, daß irgendwann alles gut werden wird und auch der Club irgendwann, wie Dortmund und Schalke in den 90ern, die Kurve kratzt, wenn durch Glück und Zufall irgendwann eine gute Mannschaft entstanden ist. Davon konnte man zehren, bei jedem schlechten Spiel, bei jeder mißratenen Flanke. Nun ist mir diese Illusion geraubt und ich weiß, daß selbst beste Voraussetzungen uns nicht von der ewigen Verdammnis des chaotisch-verschuldeten Vereins und der Fahrstuhlmannschaft erlösen können. Damit muß ich nun leben. Verbitterte Treue kann ich dem Club noch geben, euphorische Begeisterung nicht mehr.
Andreas